September 9 2025
Die 1893 beflügelt den Wandel im Viertel mit modernem Wohnraum / Andere Akteure ziehen nach

 

Foto: die 1893

 

Als Kerstin Köhler zum ersten Mal im Brandenburgischen Viertel steht, staunt sie über das, was sie da sieht. „Wow, dass es sowas noch gibt“, geht ihr durch den Kopf. „Hier wird’s nicht langweilig.“ Dieses erste Kennenlernen mit ihrer späteren Baustelle ist auch das Kennenlernen mit uns- ihrer neuen Arbeitgeberin – mit der Wohnungsgenossenschaft Eberswalde 1893 eG. Kerstin Köhler soll in die Fußstapfen von Beatrice Reich treten, die das Sanierungsprojekt im Brandenburgischen Viertel vorbereitet hat. Die Absprachen mit der Stadtverwaltung und dem Land Brandenburg sind bereits getroffen. Sogar eine Kooperationsvereinbarung ist unterzeichnet. Ein Haus ist auch schon saniert.

Kerstin Köhler übernimmt, führt Lean Management und Taktplanung auf den Baustellen ein, treibt die Digitalisierung der Planungsprozesse voran, skaliert die Erfahrungen von Beatrice Reich auf mehrere Häuser, die wir gleichzeitig sanieren, und baut sich ein Team zusammen, was die Bauabläufe im Brandenburgischen Viertel gut im Griff hat. Heute – vier Jahre später – findet sie, dass wir als 1893 „gut was geleistet haben und richtige Schmuckstücke geschaffen haben“.

Sieht nicht mehr aus wie die typische Platte: Blick vom Laubengang in der Oderbruchstraße zu den Eingangspavillons in der Barnimer Straße.

Sieht nicht mehr aus wie die typische Platte: Blick vom Laubengang in der Oderbruchstraße zu den Eingangspavillons in der Barnimer Straße. Foto: Thomas Matena

 

 

Vier Aktionsräume sind saniert und voll vermietet
Familien freuen sich über die neuen Spielplätze im Spreewaldpark und im Innenhof der Oderbruchstraße. Die neu gestalteten Häuser heben sich deutlich ab vom restlichen Bestand im Viertel. Ebenfalls besonders: Wir haben nicht nur an gute Infrastruktur und Spielplätze gedacht. Wir haben auch Kultur etabliert. In den sanierten Aktionsräumen begleiten Werke von regionalen Künstlerinnen und Künstlern den Alltag der Menschen, die dort leben – manchmal im Eingangsbereich, manchmal im Innenhof.

Der Begriff „Aktionsräume“ stammt von Beatrice Reich. „Eine Wohnung ist nur dann schön, wenn auch der Blick aus dem Fenster schön ist“, sagt sie. Im Brandenburgischen Viertel hat sie deshalb zu Beginn des Projektes gleich mehrere Häuser und ihre Außenanlagen zu Aktionsräumen zusammengefasst. So hat zum Beispiel jeder Aktionsraum einen oder mehrere Gemeinschaftsräume, in dem sich die Bewohnerinnen und Bewohner begegnen können – zum gemeinsamen Spielen oder Basteln, zum Kickern und Zocken, für Kaffeekränzchen oder Yoga-Sessions. Besonders beliebt ist der Erdmännchen-Raum für die Kleinsten, in dem sich Eltern treffen, um ihre Kleinkinder miteinander spielen zu lassen. So entstehen Austausch und Nachbarschaft.

Jedes sanierte Quartier hat einen oder mehrere thematische Gemeinschaftsräume bekommen. Dieser hier richtet sich an Jugendliche, die sich hier zum analogen Zocken treffen können. Foto: die 1893

 

Mit einem ganzheitlichen Ansatz Nachbarschaften fördern
Auch die Außenanlagen sind dafür gemacht, zusammen zu kommen. Im Aktionsraum Cottbus ist der Spreewaldpark entstanden – mit viel Platz zum Toben und Erholen. Die Hügellandschaft ist für jedes Abenteuer zu haben. Für Piraten und Meerjungfrauen steht sogar ein echter Spreewaldkahn bereit. Im Aktionsraum Oderbruch wächst ein Dschungel. Alter Baumbestand, ein Holzpfad und Mosaik-Kunstwerke beflügeln die Fantasie. Spielgeräte für kleinere Kinder und verschiedene Sitzmöglichkeiten bieten gerade im Sommer begehrte Schattenplätze. Damit in den Innenhöfen auch wirklich Erholung möglich ist, fahren hier keine Autos mehr.

Auf dem neu angelegten Spielplatz im Spreewaldpark ist eine Fahrt mit einem echten Spreewaldkahn Teil des Abenteuers.Foto: die 1893

Auf dem neu angelegten Spielplatz im Spreewaldpark ist eine Fahrt mit einem echten Spreewaldkahn Teil des Abenteuers. Foto: die 1893

 

Galerie Fenster und Helle Stunde
Neben der Kunst am Bau gibt es inzwischen zwei zentrale Kultur-Orte. Sie locken regelmäßig mit neuen Programmen ins Viertel. Da ist die Galerie Fenster, der die 1893 nach einem anfänglichen Experiment ein festes Zuhause gegeben hat. Kulturunternehmer Udo Muszynski kuratiert hier vor allem Grafik und Fotografie, manchmal auch kleinere Bildhauerei-Arbeiten. Damit Kunst und Kultur dauerhaft im Viertel bleiben können und vor allem kostenfrei nutzbar sind, übernimmt die 1893 hier die Finanzierung.

Die „Helle Stunde“ an jedem Mittwochvormittag auf dem Wochenmarkt des Viertels ist die zweite Kultur-Konstante. Das wöchentliche Programm im Sommer hat sich rumgesprochen. Inzwischen kommen Kinder- und Seniorengruppen genau deshalb auf den Platz. „So hatten wir uns das gedacht, als wir das Format entwickelt haben. Schön, dass es funktioniert“, sagt Kulturunternehmer Udo Muszynski, der in der Eberswalder Innenstadt seit 18 Jahren mit „Guten Morgen Eberswalde“ immer samstags ein ähnliches Format auf die Beine stellt.

Im Aktionsraum Cottbus begleitet Kunst am Bau das Ein- uns Ausgehen – hier vom Berliner Künstler Henning Wagenbreth, der in Eberswalde aufgewachsen ist. Foto: die 1893

 

Das Leben im Viertel braucht Engagement
Kultur ist das Eine – aktivierende Sozialarbeit das Andere, was so ein Plattenbau-Viertel neben hochwertigen Sanierungsprojekten braucht. Seit 1999 ist das Brandenburgische Viertel Fördergebiet im Bund-Länder-Programm Soziale Stadt – heute Sozialer Zusammenhalt. Viele Menschen leben wegen der Nachbarschaft hier, viele andere sind genau wegen ihr weggezogen.

Die, die geblieben sind, sind bewusst hier oder weil sie sich den Wohnraum in anderen Stadtteilen nicht leisten können. Das bringt Konfliktpotenzial mit sich, von dem Thomas Gädicke berichtet. „Das Viertel ist nicht mein Wohlfühlviertel“, sagt er. „Ich engagiere mich trotzdem – im Seniorenbeirat, als Vertreter bei der 1893, für das Stadtteil-Magazin Maxe Eberswalde, bei der Barnimer Bürgerpost und im Hebewerk e.V. bei den Imkern und in der Holzwerkstatt.“

Diese ehemalige Kita bespielen verschiedene Vereine und wichtige Anlaufstellen im Viertel. Foto: die 1893

 

Bürgermeister Götz Herrmann lobt das soziale Miteinander
Das große Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger im Viertel ist für Bürgermeister Götz Herrmann das Rückgrat des sozialen Miteinanders – dazu viele gezielte soziale und kulturelle Projekte sowie städtebauliche Maßnahmen wie das Sanieren von Wohnraum oder der barrierefreie Umbau von Infrastruktur. Für den Stadtverordneten Martin Hoeck, der im Viertel aufgewachsen und geblieben ist, gibt es eine weitere wichtige Säule, die das Viertel dringend braucht: gute Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten. Denn das ist nach wie vor ein großes Manko.

Elisabeth Niendorf ist mit ihrer Familie vor zwei Jahren in den frisch sanierten Aktionsraum Oderbruch gezogen: „Es fühlt sich manchmal ein bisschen an wie auf dem Dorf“, sagt sie. „Man kennt sich, plaudert miteinander und dann geht jeder wieder seines Weges. Und das bei Top-Verkehrsanbindung in die Innenstadt. Die Kinder lieben den Spielplatz im Innenhof und haben auch schon erste Freundschaften mit Nachbarskindern geschlossen.“ Wie viele andere wünscht sich Elisabeth Niendorf gastronomische Angebote in direkter Nähe, eine Neugestaltung des Einkaufszentrums Heidewald und mehr Bewusstsein für‘s Müllentsorgen: „Wenn alle etwas achtsamer damit umgehen, wäre schon viel gewonnen.“

Elisabeth Niendorf und Bernhard Hornung sind 2023 mit Kind und Hund in eine frisch sanierte Wohnung im Aktionsraum Oderbruch eingezogen. Inzwischen ist die Familie größer – genauso wie die Freude über den grünen Innenhof. Foto: die 1893

 

Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten waren einmal das Aushängeschild des Viertels
Wenn sich Katharina Brunnert, Mitarbeiterin im Quartiersmanagement, daran erinnert, wie es im Viertel zuging, wenn sie hier als Kind zu Besuch war, waren die guten Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten einer der Hauptgründe, warum Menschen ins Viertel kamen. Darauf hoffen sie hier heute wieder. Nach 15.000 Menschen im Jahr 1989 und 6.126 als Tiefpunkt im Dezember 2014 leben inzwischen wieder mehr als 7.000 Menschen im Viertel. Und es kommen nicht mehr nur die, die sich einen anderen Stadtteil nicht leisten können.

Nachbarschaften mischen sich
Es kommen auch die, die den sanierten Wohnraum und die Gestaltung der Außenanlagen toll finden, die das viele Grün, die Nähe zum Wald und die Angebote für Kinder und Jugendliche schätzen. So mischen sich Hiergebliebene und Neuankömmlinge. Wenn die Sanierungen weitergehen – denn auch andere Wohnungsanbieter ziehen jetzt nach – kann sich diese positive Entwicklung fortsetzen.

Das Bürgerzentrum feierte in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen und hatte dafür ein buntes Nachbarschaftsfest auf die Beine gestellt. Musikerinnen und Musiker aus dem Viertel zeigten unter großem Applaus, was sie können. Nachbarschaftsfeste bereichern immer wieder das Leben im Viertel. Es gibt die Fête de la Viertel mit viel Musik und Angeboten zum Mitmachen. Es gibt den Weihnachtsmarkt mit viel Engagement der Bewohnerinnen und Bewohner und es gibt den Tag der Nachbarn mit einem öffentlichen Picknick.

Die Fête de la Viertel ist ein wichtiges Event im Brandenburgischen Viertel. Die 1893 nutzte diese Gelegenheit immer wieder, um hier ihre Baumaßnahmen zu erklären. Foto: die 1893

 

Der Blick von außen ist geschärft
Quartiersmanagerin Katharina Brunnert ist froh, dass das Land Brandenburg und die Stadt Eberswalde das Viertel besonders in den Blick genommen haben, um es in seinem Wandel zu unterstützen. Im Zuge der 2020 geschlossenen Kooperationsvereinbarung zwischen 1893, Stadt und Land sanierte die 1893 gut 450 Wohnungen und wertete das Umfeld auf. Die Stadt Eberswalde baute ein neues Hortgebäude für mehr als 100 Kinder und sanierte Gehwege und Straßen. Das Land Brandenburg half mit günstigen Krediten und Fördermitteln. Das war ein wichtiger Schritt, der allerdings nicht der letzte sein darf. Auch aus Sicht von Katharina Brunnert ist eine sichere und vielfältige Nahversorgung wichtig, um die Menschen im Quartier zu halten und ihnen den Alltag zu erleichtern.

Die Stadt Eberswalde baute im Rahmen der Kooperationsvereinbarung mit dem Land und mit der 1893 dieses Hortgebäude für mehr als 100 Kinder in der Kyritzer Straße. Quelle: BASE Landschaftsarchitekten

 

Deutlich gesunkene Leerstandsquote zeigt, dass das Viertel interessant ist
Als die 1893 die Kooperationsvereinbarung unterzeichnete, verbuchte sie 396 Leerwohnungen im Viertel – eine Quote von 25,56 Prozent, gemessen an ihrem Bestand im Brandenburgischen Viertel. Heute – nach den Sanierungen – liegt die Quote bei 9,8 Prozent. Die heutigen Leerwohnungen liegen in noch unsanierten Häusern. Der Plan, innerhalb von zehn Jahren alle Bestände zu sanieren, wurde vom Stichwort Dekarbonisierung durchkreuzt. Weil Wohngebäude bis 2045 klimaneutral bewirtschaftet werden müssen, musste die 1893 umdenken und einen Plan für die energetische Sanierung ihrer Bestände im gesamten Stadtgebiet aufstellen. BRAND.VIER ist deshalb jetzt Teil eines noch größeren Sanierungsprojektes. Das heißt, es geht auch im Brandenburgischen Viertel weiter – allerdings erstmal nur mit dem, was energetisch am nötigsten ist.

Mit Gisela hat die 1893 eine Figur erfunden, die viele Geschichten des Viertels vereint. Sie kommentierte immer wieder den Wandel im Viertel. Grafik: ATMO Designstudio

 

Besseres Image als vor sieben Jahren
Trotzdem hat die Kooperationsvereinbarung ihre Wirkung erzielt – sei es in der verkehrlichen, sozialen und kulturellen Infrastruktur oder beim Wohnungsangebot, was für eine Durchmischung der Bevölkerung sorgt. Die Kooperationsvereinbarung hat außerdem das Image des Viertels gehoben – nicht zuletzt auch durch das auffällige Marketing, mit dem die 1893 die neuen Wohnungen vermarktet hat. Mit der BOOMTOWN-Kampagne holte die 1893 sogar einen bundesweiten Immobilienpreis nach Eberswalde. Für jeden Aktionsraum kam eine neue BOOMTOWN-Wohnungskollektion mit entsprechender Kampagne auf den Markt. Die Editionen reichten von Galaxy bis Candy – von unbekannten Galaxien bis zu bonbonfarbenen Traumwelten in modernen Grundrissen. Der Erfolg gab ihnen Recht: Noch bevor die Häuser fertig waren, waren die Wohnungen schon vermietet.

Mit der Kampagne BOOMTOWN EBERSWALDE vermarktete die 1893 ihre Wohnungskollektionen in verschiedenen Editionen und gewann damit sogar den ersten deutschen Immobilienpreis in der Kategorie Best Brand. Grafik: MXM Design

 

Dornröschen braucht Gastronomie, Drogerie, Blumenladen und Fitnessstudio zum Wachbleiben
Sicherlich ist es nicht allein die Kooperationsvereinbarung, die das Image des Viertels gehoben hat. Es ist vor allem die stetige Arbeit vieler Akteurinnen und Akteure, die sich um die Menschen und das Zusammenleben bemühen. Trotzdem hat die Kooperationsvereinbarung den Blick von außen geschärft und vielleicht auch dafür gesorgt, dass es nun doch einige Investoren im Viertel versuchen wollen, gute Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten zu schaffen. Mit einem großen Sanitätshaus und der Ansiedlung neuer Ärzte gab es einen ersten wichtigen Schritt. Nun müssen weitere Angebote im Lebensmittelbereich, in der Gastronomie, vielleicht ein Drogeriemarkt, ein Blumenladen oder auch ein Fitnessstudio folgen. Der Stadtverordnete Martin Hoeck, der im Viertel lebt und auch im Aufsichtsrat der 1893 mitwirkt, beschreibt es als Dornröschenschlaf, aus dem das Viertel langsam erwacht.

Kerstin Köhler, die verantwortliche Architektin bei der 1893, hätte gern weitere Aktionsräume im Brandenburgischen Viertel saniert. „Aber auch die energetische Sanierung aller anderen Gebäude ist wichtig“, sagt sie. „Wir dürfen trotzdem nicht den Fokus verlieren, damit es überall im Viertel so schön wird wie in den sanierten Aktionsräumen.“

Große Mosaikplastiken, die auch zum Klettern geeignet sind, schmücken den grünen Innenhof im Aktionsraum Oderbruch. Foto: Thomas Matena

Die 1893 heute!

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